Die Videoaufnahme – Über Intimität, Authentizität, Intrusivität und Quantengesetze

Gesendet amApr 29, 2010
Aufnahme aus der Ferne

In diesem kleinen Artikel geht es um etwas sehr praktisches - um Aufnahmen. Schwerpunktmäßig um Videoaufnahmen und Fotos. Kennen Sie das auch? Sie haben Aufnahmen, die Sie richtig klasse finden? Fragen Sie sich das auch manchmal, warum eine Aufnahme gut ist? Es geht mir hier jedoch gar nicht um die Technik, um die Pixels oder Objektive. Es geht mir um die Situation der Aufnahme.

Hier ein kleines Beispiel, das mir kürzlich passiert ist. Die Kaqchikel sind die Nachkommen der Maya und leben in einigen Ortschaften Guatemalas. Für einen kleine Recherche habe ich ein Indianerdorf besucht. Begeistert von den vielen Farben und der traditionellen Lebensweise wollte ich dann auch so ein paar schicke und traditionelle Bilder machen. Die erste Situation an die ich mich erinnere war dieser kleine Fluss. Ich hatte mich auf so einen kleinen Baumstumpf gesetzt und träumte so in die Landschaft. Da bemerkte ich links von mir eine Gruppe Frauen, welche diese schönen traditionellen Trachten der Kaqchikel anhatten. Sie standen im Fluss, wuschen sich, ihre Haare und ihre Kleidungsstücke. Rechts von mir schoben in regelmäßigen Abständen die Männer der Kaqchikel ihre Boote ans Ufer und trugen Ihren mehr oder weniger üppigen Fischfang ans Land. Ich hatte da so eine kleine digitale Kamera mit, na so eine die ohne Probleme unauffällig in die Hemdentasche passt.

Wie gerne hätte ich den Moment der waschenden Mayafrauen am Fluss festgehalten aber irgendwie sagte mir da eine innere Stimme "Tu das nicht!" Kennen Sie das auch, sie wollen eine Situation einfangen aber stellen fest, dass Sie irgendetwas davon abhält? Genau darum geht es mir in diesem Artikel.

Von der Notwendigkeit der Intrusivität

Das erste Problem beim Aufnehmen besteht in der Intrusivität. Sobald ich meine Kamera ziehe und aufnehmen möchte ist die Situation kaputt - die Mayafrauen währen vielleicht kreischend davongelaufen, oder ihre Männer hätten mich vielleicht mit dem Fischfang beworfen - alles möglich. Was auch immer passiert wäre, die anfänglich beobachtete Situation wäre nicht mehr die Gleiche, sondern beeinflusst auf Grund meiner Anwesenheit und meiner Aufnahmemaschiene, der Kamera. Wenn man die Situation in Regeln fassen will, so könnte man sagen:

[Regel 1] Je größer die Intrusivität, desto geringer die Intimität der aufgenommenen Szene.

Aufnahmetechnisch lässt sich das oben geschilderte Problem in zweifacher Weise lösen.
(1) Man verwendet ein Teleobjektiv und versucht die entfernte Szene nah heranzuholen oder
(2) eröffnet ein Gespräch und redet mit seinen Menschen, die man aufzunehmen gedenkt - hier mal ganz einfach als Subjekt bezeichnet.

Option (1) halte ich für weniger geeignet (das ist meine persönliche Meinung). Die notwendigen Brennweiten lassen immer den Betrachter wissen, eigentlich keinen direkten Kontakt mit dem Subjekt gehabt zu haben. Selbstverständlich gibt es Situationen, bei denen der direkte Kontakt gar nicht möglich oder unangemessen wäre - hierzu gehören z.B. Kriegs - oder Gefahrenschauplätze.  Um eine Situation wirklichkeitsnah aufnehmen zu können, ist demzufolge ein gewisses Maß an Intrusivität notwendig. Und so komme ich zu meiner nächsten Regel:

[Regel 2] Authentizität erfordert ein gewisses Maß an Intrusivität.

Intimität ohne Teleobjektiv

Was hat dies nun mit der Quantenmechanik zu tun? Die heisenbergsche Unschärferelation ist ein quantenphysikalisches Gesetzt, dass ein beliebig genaues bestimmen zweier  unabhängiger Messgrößen eines Teilchens ausschließt, z.B. Ort und Impuls. Das 1927 von Werner Heisenberg aufgestellte Gesetz ist prinzipieller Natur und nicht das Ergebnis eines unzulänglichen Experimentes.

Aufnhame nach einem kleinen Gespräch

Authentizität und Intimität entstehen immer nur dann, wenn die Beziehung zwischen Filmenden und Gefilmten ein Vertrauensverhältnis darstellt. So wie die Unschärferelation nach dem Heisenbergschen Prinzip eine gleichzeitige Bestimmung von Ort und Impuls unmöglich erscheinen lassen, so kann bei einer Aufnahme die Distanz zum Objekt die Intimität waren. Reduziere ich die Distanz zum Objekt und werde ich intrusiv, so zerstöre ich eventuell die Intimität. Und so kommen wir zur letzten Regel:

[Regel 3] Intimität entsteht bei einem Vertrauensverhältnis zwischen Filmenden und Gefilmten.

Ein kleines Problem bleibt - das Problem der Objektivität. Gibt es einen objektiven Film oder ein objektives Bild? Das Problem der Objektivität wird in einem der nächsten Artikel beschrieben.

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